Montag, 11. Juli 2016

Tosca in Breslau.


Die Prozession in der römischen Kirche Sant´Andrea della Valle, abgehalten im Juni 1800 ist … eine „Prozession“ in der hiesigen Magdalenenkirche, ehrfürchtiges Schauern verursachendes Ende des ersten Aktes von „Tosca“. Eine geniale Idee: Drei unterschiedliche, aber kongeniale Schau- und Spielplätze für Puccinis berühmtes Werk. (Im Begleitheft liest man, dass Wrocławs Oper dies bereits 1998 umgesetzt hatte: Zwar nicht an Originalschauplätzen und zur Original-Uhrzeit wie in der legendären italienischen Fernsehproduktion von 1992, so aber doch an ebenso erhabenem Orte:
Magdalenenkirche, Leopoldinum, Liebichshöhe.)

Was für einen Fest für Augen und Ohren: Der Maler Cavaradossi (stimmstark gesungen von Igor Stroin) zwischen den hohen, himmelwärts aufragenden Pfeiler den geschundenen Widerständler Angelotti (beachtlich: Maciej Krzysztyniak) versteckend und danach seiner Tosca (sehr theatralisch á la Original-„Tosca“-Uhraufführungszeit anno 1900, doch mit wunderbarem Timbre und Arien-Könnerschaft: Anna Lichorowicz) ewige Liebe schwörend. Doch die Häscher sind bereits unterwegs. (Und zücken dann draußen, auf dem abendlichen Weg hinüber zur Oper und zum zweiten Akt ihre Smartphones, wenngleich weiterhin bekleidet mit sinisterem dunklem Wams.)



Die für diesen Abend zur säkularen kleinen Gemeinde gewordenen „Tosca“-Besucher setzen sich ebenfalls in Bewegung, doch kaum ein Auge für den Trubel am Rynek, sondern noch immer ergriffen von der Wucht der Prozession, deren Teilnehmer zum Chor der städtischen Oper gehören – aber doch für einige große Augenblicke aus einer anderen Welt zu sein schienen, aufgetaucht aus den Tiefen römischer Vergangenheit.

Der zweite Akt, das intrigante Geschehen im Palazzo Farnese darstellend, dann zwar wieder opern-konventionell, doch in der Publikums-Gestimmtheit beinahe ebenso aufregend: Kommt man doch – wie auch Tosca – tatsächlich gerade von draußen und findet sich nun wieder in prunkendem, ein wenig einschüchterndem Interieur.


Und dann, die berühmteste Arie der Oper: „Vissi d´arte, Vissi d´amore“. Anna Lichorowicz ist weder Grace Bumbry noch die Callas, aber was sie an diesem Abend stimmlich leistet, ist formidabel und hat den Applaus wahrlich verdient.
Alsdann hinüber in den lauschig schönen, nach Kopernikus benannten Park, wo die rückwärtige, klassizistische Terrasse des Puppentheaters tatsächlich an die Plattform der Engelsburg gemahnt.



Cavaradossis Abschieds-Arie, in welcher die tragisch dräuende Musik bereits wissender ist als derjenige, der sie singt (und noch hofft). Mit Inbrunst wallen die Töne in den nun bereits nächtlich dunklen Park, rollen über den Stadtgraben, verbreiten sich im sommerlichen Grünschwarz der Baumkronen. (An anderen Abenden hörte ich die Arie sogar noch auf dem Balkon meiner Stipendiatenwohnung, während der Ruhepausen der lärmigen EM-Spiele.) „E lucevan le Stele“ singt Igor Stroin, und erneut scheint ein Schauer durch die schweigende Zuhörerschaft zu gehen, denn wir wissen ja, was der Maler und seine geliebte Tosca noch nicht einmal ahnen: Nicht als Liebespaar werden sie das Gefängnis verlassen, sondern in der doppelten, separierten Einsamkeit des Todes. Statisten in historischen Kostümen und Karabinern patrouillieren über den Kieswegen, während oben auf der Terrasse das Verhängnis seinen Lauf nimmt.


Und dann stehen sie dennoch wieder alle vereint am bröckeligen Treppenrand – Sopranistin, Tenor, Bass und Bariton (der Schurke Scarpia mit dem Charisma von Mariusz Godlewski), Hand in Hand, verschwitzt und glücklich unser aller Dankapplaus entgegennehmend. Was für ein Abend, was für Stunden des Genusses zwischen 18 und 23 Uhr an diesen drei zaubrischen Orten der Stadt!
(Weitere Aufführungen noch am 15., 16. und 17. Juli)
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