Samstag, 2. Juli 2016

Wrocław – San Sebastián. Zwei Partnerstädte. Und zwei Erfahrungen, die leider separat bleiben.


Eine jeweils ost- und westeuropäische Stadt im Status der Kulturhauptstadt zusammenzuspannen, riecht nach Proporz und könnte dennoch Erkenntnisgewinn bringen – jenseits der peinlichen, jede Intelligenz beleidigenden Sprechblasen von „kreativem Dialog“ oder ähnlichem Zeug. Könnte

Als voriges Jahr Pilsen und Mons die beiden Partnerstädte waren (ich hatte sie für eine Zeitungsreportage besucht), schien die historische Verbindung auf der Hand zu liegen. Pilsen war im Frühjahr 1945 von amerikanischen Truppen befreit worden, die sich später jedoch zurückzogen. Mit der Sowjetarmee kam dann auch die Geschichtslüge: Allein die Sowjets hätten die Stadt befreit und nicht etwa weiße und schwarze GI´s, die den für einen kurzen historischen Moment so  glücklichen Pilsenern das Swing-Tanzen auf dem Rathaus-Platz beigebracht hatten. War die zweite Befreiung – jene im Winter ´89/90 – dann nicht auch der NATO mitzuverdanken, deren militärisches Hauptquartier sich ja im belgischen Mons befindet? Im Jubiläumsjahr 2015 hätte sich solch eine Erinnerung geradezu angeboten. Hätte. Denn den belgischen und tschechischen „Kulturmanagern“ war selbstverständlich nichts Anderes eingefallen als ihre üblichen „Projekte/Video-Installationen/Work in Progress“ durchzuziehen, das absolut Irrelevante von EU-Fonds finanzieren zu lassen und großsprecherisch zu präsentieren. Erneut eine vertane Gelegenheit.

Umso spannender die Verbindung Wrocław – San Sebastián. (Dachte ich.) Als sich Wrocławs Opposition mit den subversiven Aktionen der „Orangenen Alternative“ gegen die Zumutungen des kommunistischen Regimes wappnete, waren es in San Sebastián nur wenige, ganz wenige, die dem alltagspräsenten Terror der ETA die Stirn zu bieten wagten. Und sogar noch 2006, als ich die Stadt zum ersten Mal besuchte, musste eine demokratische Aktivistin und Intellektuelle wie Maite Pagazaurtundua unter Polizeischutz ins idyllische Strandhotel „Londres y Inglaterra“ kommen, wo wir dann von der Terrasse aus über den Atlantik sahen, englischen Tee tranken und über die beinahe archaische, allumfassende Angst und das Schweigen in der baskischen Gesellschaft sprachen. 
"Wo bleiben eigentlich all diese Künstler, wenn man sie mal braucht?", fragte Maite mit leiser, beinahe ironischer Verwunderung in der Stimme. Die separatistischen Linksfaschisten der ETA hatten ihren Bruder erschossen – einen von achthundert seit dem Ende der Franco-Diktatur. Achthundert Tote, viele davon im sich wegduckenden San Sebastián, Partnerstadt von Wrocław! 

Ich erinnere mich an Maites ruhiges Atmen und an ihre zusammengepressten Hände, aber auch an den Heavy Metal-Lärm in den abendlichen Altstadtgassen der Stadt, in deren Bars die Bilder rechtsstaatlich verurteilter ETA-Mörder hingen – als Ikonen, denen zugeprostet wurde. Aber auch an das vitale Lachen meines alten Freundes Fernando Savater denke ich. 1947 in San Sebastián geboren, als Franco-Kritiker mit Lehrverbot belegt und seither als Philosoph und Schriftsteller in Madrid lebend, hatte er – ebenso wie Maite und die ETA-Gegner von „Basta Ya!“ ("Es reicht!") – noch bis vor kurzem Polizeischutz benötigt, an der Rezeption in einem Apartmenthaus, wo der Name der Familie Savater aus Sicherheitsgründen nicht auf dem Klingelschild stand. Aber Fernandos Humor, seine souveräne Verachtung der nationalistischen Mörderbande, sein Interesse für die osteuropäischen Dissidenten von einst und die kubanischen und chinesischen Oppositionellen von heute, seine Elogen auf die wunderbaren Kollegen André Glucksmann, Mario Vargas Llosa, Adam Michnik!
Müssten weltoffene, Weltoffenheit verteidigende Menschen wie Maite und  Fernando, in Spanien feste Größen im intellektuellen Diskurs, nicht ganz selbstverständlich zu Berliner oder Wrocławer Tagungen und Kongressen eingeladen werden, auf dass die Hiesigen wenigstens ansatzweise erahnen könnten, dass es auf dieser Erde auch noch anderes gibt als ihren ewigen Mauerfall und Solidarnosc und „deutsch-polnische Differenzen"? 
Aber vielleicht ist das ja die falsche Frage und unterschätzt die bornierte Selbstbezogenheit so zahlreicher deutscher, aber auch polnischer  Experten, die nur ihr je eigenes Terrain beackern und eben nicht quer durch Europa schauen, dem eigenen intellektuellen Anspruch also nicht gerecht werden. (EU-Förderungsgelder sind dennoch zum Abgreifen immer willkommen.)

Mit diesen Gedanken saß ich am Wochenende nahe der Jahrhunderthalle im lauschigen Garten einer wunderbaren alten Villa, die das dreitägige Kulturfestival BASK 2016 beherbergt. 



Man konnte Drinks und Happen aus der baskischen Küche probieren, der gekonnten Performance einer aus Bilbao stammenden Künstlerin beiwohnen, zwischen Liegestühlen umhergehen oder in den Etagen der Villa Fotos und Videos betrachten. Alles sehr schön. 



Perfekt und stimmig gemacht, baskische Künstler eingeladen und sogar ein großformatiges polnisch-englisches Programmheft  gestaltet – all dies unter der Ägide von „Artist-in-Residence-Programme A-i-R WRO“ (das hiermit, wie bei solchen Texten offiziell erwünscht, auch mit gebührendem Respekt erwähnt sei.)  Sehr schön. 



Und vielleicht ja  wirklich nur meine Schuld, wenn ich irgendwann, in einem der oberen, wie verwunschenen Räume, im Geiste plötzlich Fernando Savaters wuchtige Sanguiniker-Gestalt auftauchen sehe und feinziselierten Spott von sich geben höre. „Laut Walter Benjamin ist Kommunismus ‚die Politisierung des Ästhetischen‘, Faschismus dagegen ‚die Ästhetisierung des Politischen‘. Und der gegenwärtige Kultur-Zirkus, den Benjamin natürlich nicht voraussehen konnte? Wahrscheinlich die Ästhetisierung des Apolitischen. Haha!“) Dennoch keine Kritik an diesem sensibel erarbeiteten Programm, das ja immerhin ein freundliches, nicht-nationalistisches Baskenland zeigt. Ganz ohne ETA. Ganz ohne deren Opfer. Vielleicht muss „Kultur“ ja so sein. Vielleicht wird in den begleitenden Workshops, in denen sich „cultural managers and experts“ treffen, um „to interpret Basque culture, its contradictions and mysteries, using various educational and artistic tools“ – vielleicht wird ja genau dort diese entsetzliche Leerstelle mit gesellschaftlicher Relevanz gefüllt. Das wäre ebenfalls schön.



Doch was ich vor allem höre/was ich erinnere, ist das beredte Schweigen und die Einsamkeit von Maite Pagazaurtundua. Und was ich spüre an diesem gelassenen, vergesslichen Sommerabend in Wrocław, ist vor allem Traurigkeit. Gleichzeitig: Was für freundliche, zivile, angenehme, gegenwarts-tüchtige Leute wuseln um einen herum! Bleibt also wohl dennoch die realistische Hoffnung, dass das verdienstvolle Wrocławer Künstlerprogramm, das bereits seit drei Jahren baskische Kreative einlädt, auch den Erzsympathischen dieses Wochenendes Energie gibt, in San Sebastián subversiv Position zu beziehen. Auf dass sich Menschen wie Maite und zahllose, tausende Andere nie mehr so derart allein gelassen fühlen müssen.
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